Klangfarbe contra sinuston
Die Klangfarbe der westlichen Musik wird von der Idee des
"reinen" Klanges bestimmt. Instrumente sind so angelegt,
dass der Grundton von möglichst harmonischen
Obertönen begleitet wird, dass heißt, sich die
Obertöne im ganzzahligen Verhältnis zum Grundton
bewegen. Ganz anders sucht man in der indischen Musik
möglichst viele, auch nicht ganzzahlige Obertöne
zu erzeugen. Daher empfinden wir indische Musik als
fremdartig und etwas "schräg". Im Gesang vieler, auch
europäischer Kulturen, finden wir Beispiele für
Stimmtechniken, die darauf angelegt sind, möglichst
viele mitschwingende Obertöne zu erzeugen.
Ungeachtet dessen nutzt jedoch jeder Musiker die
Variationsmöglichkeiten der Klangfarbe seines
Instrumentes oder seiner Stimme, d. h. er variiert in
verfeinerter Technik die Zusammensetzung des
Frequenzspektrums und bestimmt so über Ansatz,
Fülle und Ausklang des Klanges. So gibt er auch
festgelegten Werken seinen persönlichen Ausdruck und
regt unter Umständen das Herz seiner Zuhörer,
die vielleicht schon in gespannter Erwartung jenes
äußerst speziellen Klanges eines Liedes oder
Werkes sind.
Ich persönlich habe den Verdacht, dass Obertöne
uns eine Idee der Verbundenheit mit dem Universellen
vermitteln. Berührt die Feinsinnigkeit von
Klängen einen Zuhörenden, so ist er meist in
seiner Ganzheit ergriffen, ja, nicht selten erzeugen sie
sogar Tränen der Berührung.
Dem gegenüber steht der Sinuston. Eigentlich gibt es
ihn nicht, denn nur annähernd lässt sich ein
elektronischer Ton erzeugen, der aus nur einer Frequenz
besteht. In den 60er, 70er Jahren hielt der
sinustonartige, elektronisch erzeugte Klang seinen Einzug
nicht nur in der Popmusik, denn auch viele Komponisten
nutzten die Möglichkeiten, die ihnen die Elektronik
bot. Neben den pragmatischen Vorteilen, konnte man hier
auch seinem Verhältnis zu einer sich immer schneller
technologisierenden Umwelt Rechnung tragen. Wo bildende
Künstler Fernsehtürme aufbauten, Schiller in
neuzeitlicher Alltagskleidung gespielt wurde und
Rohrinstallationen die Fassaden von Neubauten zierten,
schockierten Komponisten mit unschönen Tönen.
Heimorgeln fanden in vielen kleinen Neubauwohnungen ein
Zuhause, und die Popmusik begeisterte sich an den leicht
zu produzierenden diiiids, düüüds und
dööööds.
Aus meiner Sicht konnten einige die Reduktion so nutzen,
dass durchaus veritable Werke zu Stande kamen, doch es
blieb eine Zeiterscheinung, denn der sinusartige Ton wird
nicht nur schnell langweilig, er hat auch die Eigenschaft,
das Hörvermögen zu belästigen. Viele
mögen sich noch an die physische Erleichterung
erinnern, als Handys endlich mit polyphonen
Klingeltönen ausgestattet wurden.
Inzwischen bietet uns die Musikindustrie zwar
elektronische Klänge von sich überlagernden
Sinuswellen, die ein Klangerlebnis ermöglichen, doch
bei dem Versuch, ein natürliches Instrument zu
imitieren, sollte der am Computer erzeugte Klang den
Vergleich stets scheuen. Dabei stellt die Variation in der
Klangfarbe das größte Problem dar. Der Aufwand,
die Ausdruckskraft eines Interpreten zu imitieren
wäre immens. Man müsste jedem Klang Parameter
zuweisen, stimmig zu der Dramaturgie des Werkes. Deswegen
lässt man heute am Computer erzeugte Werke für
z. B. Filme von einem Orchester einspielen.
In der Imitation von natürlichen Instrumenten
bleibt der elektronische Klang ein hörbares Imitat.
Dennoch bieten sich in der computererzeugten Klangwelt
zahlreiche Möglichkeiten, die nicht nur von der
Popmusik genutzt werden.
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