Das Zufallsprinzip und der innere Impuls
Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Zufall ist
natürlich eine Quelle der Inspiration, im Besonderen
aber gibt sie meiner Idee einen realen Kontext.
Während des Schaffensprozesses bleibe ich stets in
Kommunikation mit einer sich wahrhaft vollziehenden
Umwelt.
Deswegen habe ich auch meistens nicht das Gefühl,
dass ich allein etwas geschaffen habe. Ich fühle eher
wie jemand, der am Strand Muscheln sammelt und seine
Exponate selbst fasziniert anderen zeigt. Denn
fürwahr, Zufälle sind immer wieder wie kleine
Wunder, sind wie kleine Geschenke aus diesem wunderlichen
Raum, in dem sich so viel Eigentümliches formt, und
ich komme nicht umhin, manchen Sounds, die sich wie ein
Schalk in das Werk einschleichen, eine Art Wesenhaftigkeit
zu geben.
In der Tanzimprovisation hingegen entstehen Zufälle,
die ich als solche im Grunde nicht mehr bezeichnen kann,
da sie zu regelmäßig und zu berechenbar
entstehen. Ich bin mir sicher, dass wir eine
Kommunikationsfähigkeit haben, die über die uns
bekannten fünf Sinne hinausgeht. Für diese, ich
nenne sie provisorisch "intuitive" Kommunikation ist das
Verfolgen des inneren Impulses erforderlich. Dieser
spontane, nicht-kausale innere Impuls will allerdings
entdeckt werden. Folgen die Teilnehmer in einer
Improvisation diesen inneren Impulsen, entsteht eine so
spielerisch sprudelnde Lebendigkeit, wie sie erdacht kaum
geschaffen werden kann. Besonders erstaunlich sind dabei
die plötzlichen gemeinsamen Akzente, die sich
vollkommen unabgesprochen präsentieren, gerade wie
Delphine, die simultan aus dem Wasser springen.
Die Frage an das Sein, warum wir sind, woher Raum und Zeit
kommen, ist eine Glaubensfrage. Wenn auch der
Gläubige nicht beweisen kann, dass es Gott gibt, so
kann der Atheist ebenso wenig beweisen, dass es ihn nicht
gibt. Selbst wer in Gott eine Antwort gefunden hat,
lässt die letzte Frage offen: Woher kommt Gott? Ist
er im Nichts oder hat er Raum?
Unser Bewusstsein verweigert uns eine Vorstellung des
Nichts ebenso wie die des unendlichen Raumes. Wir
können uns nichts vorstellen, was keinen Anfang hat,
doch vor jedem Anfang muss etwas anderes gewesen sein. Und
auch wenn Wissenschaftler mithilfe von irrationalen Zahlen
und Antiteilchen das Nichts berechnen können, ihre
Vorstellung wird dem Nichts ebenso eine, vermutlich
dunkle, Farbe geben, wie die meine, und ihre Rechnungen
bleiben Modelle, die bis hierhin funktionieren, wenn auch
mit Widersprüchen.
Es gibt also etwas Grundsätzliches, das wir nicht
begreifen können und gleichzeitig steht es
außer Frage, dass es eine Antwort gibt.
Uns jedoch bleibt nur zu glauben, zu vermuten oder zu
wähnen. Wir können im Grunde nur unserem
Gefühl folgen, denn wer auch glaubt noch so sachlich
zu bleiben, argumentiert mit einer hierzu schweigenden
Vernunft.
Den Zufall werte ich allerdings als eindeutiges Indiz
dafür, dass es keine höhere Steuerung geben
kann. Wäre eine Macht in der Lage, alles zu steuern,
gäbe es ihn nicht. Sollte es eine höhere Macht
geben, so kann es ihr nicht um Moral gehen, sonst
würde sie uns besser und gerechter lehren, wie sie
uns haben möchte. Polytheistische Religionen scheinen
mir das Bild des Universums besser wiederzuspiegeln als
monotheistische, da sie die Zusammenwirkungen
verschiedentlicher Kräfte erörtern.
Ich bin der Meinung, dass das Universum niemandem gut oder
schlecht gesonnen ist, es ist nicht empathisch und es
rettet auch niemanden. Das Universum hat
Gesetzmäßigkeiten, nach denen es sich
unnachgiebig vollzieht.
Wenn ich dem Universum eine Idee geben wollte, so
wäre es die der größtmöglichen
Erschaffung verschiedent-lichster Ereignisse. Wollte ich
ihm eine Vorliebe unterstellen, so wäre es das Neue.
Wenn ich auch dem Universum eine gewisse Unerbittlichkeit
unterstelle, so vermute ich tröstlich, dass wir mit
jenen Gesetzen stärker verbunden sind, als es uns der
zivilisierte Alltag glauben macht. Meine Erfahrungen aus
der Tanzimprovisation zeigen deutlich, dass eine
Kommunikation mittels des inneren Impulses möglich
ist, meine Vermutungen gehen weiter, dass wir energetische
Konstellationen recht komplex scannen können,
wahrscheinlich sogar raumunabhängig. Heute fällt
dies mehr oder weniger unter den Begriff der emotionalen
Intelligenz, ich halte es für einen Sinn.
Wenn Kommunikation möglich ist, ist natürlich
auch eine Reaktion möglich. Also lässt sich auch
nicht ausschließen, dass wir ein kreatives Potential
mitbekommen haben, bei dem allgemeinen Kräftemessen
mitzumischen. Mit anderen Worten, ich halte es nicht
für ausgeschlossen, dass wir an einem Zufallsereignis
mitwirken können, dass wir Situationen möglicher
Weise rufen können. Beten könnte demnach also
eine durchaus sinnvolle Tätigkeit sein.
Bei der Tanzimprovisation ist für diese Kommunikation
das Erhorchen des inneren Impulses notwendig. Dieser wird
zwar als höchst eigen empfunden, resultiert aber
nicht aus einer Absicht oder Reflektion. Es ist fast ein
Paradoxum, dass wir das, was uns spontan entfleucht mehr
dem 'Ich' zuordnen, als das, was wir überlegt tun.
Vielleicht ist dieser innere Impuls unsere Verbindung mit
den universellen Gesetzen, ähnlich dem Wasser, das
sich stes seiner Umgebung anpasst, hier einsickert, sich
dort sammelt, woanders hinunterstürzt, usw. und
dennoch ohne Unterlass seinen Weg verfolgt, den es
gleichzeitig nie selbst entschieden hat.
An Tieren fasziniert mich oft die scheinbar freudige
Beharrlichkeit, mit der sie schwere Arbeiten verrichten,
scheinbar ohne Beschwerde oder Klage, und ich frage mich,
was machen sie anders als der Mensch? Ist es, weil sie
nicht entscheiden, sondern nur ihren Impulsen folgen?
Beobachtet man Übersprungverhalten bei Tieren, wenn
sie sich entscheiden müssten, sieht dies hingegen
wahrlich quälend aus. Ist es etwa die scheinbare Freiheit zur
Entscheidung, die uns von dem Gefühl des
unmittelbaren Ichs entfernt?
Was wäre die Konsequenz, wenn wir auf all diese
Fragen Antworten hätten? Wäre "der Mensch" in
der Lage, mit diesem Wissen angemessen umzugehen? (An der
Produktion eines schwarzen Lochs wird ja bereits
gearbeitet!)
Wahrscheinlich würden wir nicht mehr staunen
können über dieses unglaubliche Wunder des
Lebens, und eigentlich will ich nur sagen: Wann immer ein
Zufall meine künstlerische Tätigkeit kreuzt, ist
es, als würde mir das Universum in seiner
Rätselhaftigkeit kurz und schalkhaft zulächeln.
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