Der konzeptionelle Zufall


Wer sich einiger außergewöhnlicher Zufälle erinnert, wird wahrscheinlich verstehen, dass die Verlockung groß ist, den Zufall in ein Werk konzeptionell einbinden zu wollen.

Live-Act

Gerade in der darstellenden Kunst, wo Authentizität von maßgeblicher Bedeutung ist, trägt das überraschende Moment zur Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit der darstellenden Person bei. Sie muss schnelle Entscheidungen treffen und kann gleichzeitig nicht ermessen, wohin sie im Kontext führen wird, die Absicht kann also ihre Wirkung weniger entfalten und damit wirkt die Darstellung auch auf das Publikum weniger manipulativ.

Nun ist es Bestandteil der Professionalität, dass auch Eingeübtes und Reproduziertes erlebt und überzeugend dargestellt wird, ... dennoch haftet nach wie vor einer reibungslosen Generalprobe an, sie verderbe die Lebendigkeit der Premiere.

So wie bei einem festgelegten Werk die Routine aufkommen möchte, ist beim Zufall zu befürchten, ob überhaupt ein bemerkenswertes Ereignis zustande kommen wird. Daher versucht ein Zufallskonzept gleich der Pollen ausstoßenden Mutterpflanze, die bestmöglichen Bedingungen für die Entstehung eines gewünschten Ereignisses zu schaffen. Es werden Parameter, Form, Raum und Zeit betreffend, zugewiesen oder auch z. B. impulsgebende Situationen für eine Handlung festgelegt. Nun verschwimmt die Grenze zwischen Absicht und Zufall, allerdings bleibt die Absicht in Abhängigkeit der jeweils vorgegebenen Struktur.

In der Tanzimprovisation erfordert die Entwicklung einer solchen Struktur das Ergründen interaktiver Prozesse und oftmals enthüllen sich lebensnahe Aspekte, wenn eine Szene nicht funktioniert.

Zum Beispiel bei der Vorgabe, ab und zu mit einer anderen Person in Kommunikation zu treten, präsentiert sich folgend meist ein Bild von Paaren, die sich kaum mehr von der Stelle rühren. Die ursprüngliche Absicht, Bedingungen für eine lebendige Szene zu schaffen, vollzieht sich also keinesfalls. Der Grund liegt in den Tanzenden, die sich nicht trauen, ihren Impulsen nachzugehen, da sie sich schlecht fühlen, ihren anvisierten Tanzpartner einfach stehen zu lassen. Auch die Interaktion der Paare stagniert, da beide Seiten in ihrer großen Bereitwilligkeit auf den Partner einzugehen, keine eigenen Impulse mehr geben. Hier präsentiert sich nun ein Bild einer Art verhafteter Stagnation.

Leichter als im wahren Leben lässt sich diese Nähe-Distanz-Problematik mit zusätzlichen Parametern auffangen, die z. B. die Dauer der Kommunikation begrenzen und impulsgebende Aktionen einfordern. Später kann im Allgemeinen auf diese Parameter wieder verzichtet werden, da die Abwechslung das Lustempfinden der Teilnehmer so steigert, dass sie aus eigenen Impulsen heraus die gewünschte Szene gestalten. Und erst hier ist der geeignete Raum geschaffen, in dem Zufälle Capriolen schlagen können.

Sounds

Anders als in der Arbeit mit Menschen, die sich interaktiv aufeinander beziehen, gestaltet sich der Zufall in der Arbeit mit Sounddateien. Obwohl es meiner persönlichen Entscheidung unterliegt, wie lange ich eine Sounddatei verändere, fühle ich mich hier um einiges mehr der Willkür des Zufalls ausgesetzt als bei der Improvisation.

Dies angefangen bei der Aufnahme, die voraussetzt, dass ein interessantes Geräusch, mein Aufnahmegerät und ich zusammenkommen. Selbst wenn ich einen Ort allein zum Zwecke der Aufnahme aufsuche, bekomme ich niemals das, was ich erachtete. Immerzu behaupten Störgeister ihre Existenz und werden sich später nicht mehr herausfiltern lassen. Auch die darauf folgende Verfremdung gestaltet sich zu Teilen zufällig. Je nach dem an welcher Stelle einer Sequenz ich einen Filter ansetze, wird das Ergebnis unterschiedliche Veränderungen erzeugen. Da ich bereits komplexere, sich also aus verschiedenen Faktoren zusammengesetzte Sequenzen verwende, ergeben sich die offensichtlichsten Zufälle aus der Überlagerung der Rhythmen und Klangfarben.

Diese Arbeitsweise ist mit einem gegen eine Wand geschmissenes Farbei, das mehrere Farben beinhaltet, zu vergleichen: Jeder Wurf wird in Form- und Farbgebung ein Unikat bleiben. Ich nehme das, was mir gefällt heraus und unterziehe es gegebenenfalls weiteren Behandlungen.







close






close